Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Nicht nur die Guten 😉 werden in alten Büchern fündig – auch der Mainstream bedient sich dort – und es gibt auch wichtige, neue Bücher. Wenn man schon liest, dann kommt es natürlich einerseits darauf an, die Zusammenhänge und die Zeit, in der das Werk steht bzw. verfasst wurde zu würdigen; andererseits ist es genauso wichtig, ob der Leser offen ist und neues Wissen sucht – oder Bestätigung für seine Thesen.
Zwei Beispiele zu Adam Smiths „unsichtbarer Hand“ (invisible hand):
… [der einzelne Marktteilnehmer] wird in diesem wie auch in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, um einen Zweck zu fördern, den zu erfüllen er keineswegs in keiner Weise beabsichtigt hat.
Quelle: dtv, Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen, 1978, S. 371
Kein einzelner Marktteilnehmer strebt direkt danach das Gemeinwohl zu maximieren; jeder will nur seinen Güterbedarf decken. Und doch führe der Marktmechanismus durch seine unsichtbare Hand zum volkswirtschaftlichen Optimum. …
Quelle
Smith gebraucht also die Metapher von der unsichtbaren Hand nicht im Sinne einer Voraussetzung (die unsichtbare Hand leitet zu dem Ergebnis) sondern in der Rückschau (das Ergebnis ist zu Stande gekommen als ob eine unsichtbare Hand geleitet hätte).
James R. Ottensen hat die Untersuchungen von Emma Rothschild zur unsichtbaren Hand sehr gut zusammengefasst:
Rothschild beginnt mit der Feststellung, dass Smith den Ausdruck „unsichtbare Hand“ nur einmal in The Wealth of Nations verwendet – woraus sie schließt, dass es unwahrscheinlich ist, dass er ihn als konzeptionelles Kernstück des Buches gemeint hat. Darüber hinaus zeigt sie, dass Smiths zeitgenössische und nahe zeitgenössische Leser diese Idee nicht als die bedeutendste im Werk Smiths in den Mittelpunkt stellten. Tatsächlich dauerte es fast ein Jahrhundert, bis man anfing zu behaupten, dass die unsichtbare Hand eine der, wenn nicht sogar die wichtigste Idee in seinem Buch sei.
Quelle
Jetzt doch mal ehrlich, so zu sagen „unter uns“: Welcher erwachsene Mensch glaubt – in konkreten Dingen wie Wirtschaft – an unsichtbare Mächte, an eine wohllenkende unsichtbare Hand? Das geht nach Meinung des Verfassers nur, wenn man für absurde Thesen und Theorien von heute „Beweise“ in der Vergangenheit sucht indem man alte Textstellen (oft nur Partikel!) aus dem Zusammenhang reißt und fehlinterpretiert, passend macht im eigenen Sinn!
Soweit zum Original, dem alten Buch von Adam Smith. Dazu noch, als zweites Beispiel, das neue Buch, hier eines von Ulrike Herrmann (2016) Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung . Auch hier ein Zitat aus der Wikipedia:
Adam Smith, durch David Ricardo zum Gründungsvater der Ökonomie erklärt, sei, so Herrmann von den „Neoliberalen“ gründlich missverstanden worden. …
Er habe das Unternehmertum nicht idealisiert, sondern seinen „natürlichen“ Hang charakterisiert, durch Kartellbildung und Monopole Wettbewerb zu beschränken, die Märkte auszuweiten und die Gesetze von Angebot und Nachfrage und damit er Preisbildung auszuschließen. Herrmann zitiert Smiths Diktum, dass sich „Leute aus der gleichen Branche (…) selten treffen, selbst zum Vergnügen und zur Abwechslung, ohne dass die Unterhaltung mit einer Verschwörung gegen die Öffentlichkeit endet oder mit einem Trick, um die Preise zu erhöhen“. Kaufleute, so Smith nach Darstellung von Herrmann, würden „Monopolpreise kassieren“ und damit, im Zitat Smiths „eine absurde Steuer vom Rest ihrer Mitbürger verlangen“. Smith habe sehr deutlich gesehen, dass der englische Staat „längst zur Beute der herrschenden Klasse geworden“ war.
Eigentliches Ziel Smiths sei gewesen, die Armen und Ausgebeuteten zu befreien, nicht allein aus Gerechtigkeitsgründen, sondern in erster Linie, weil ihm bewusst gewesen sei, dass der Wohlstand der Reichen nur zusammen mit dem Wohlstand der gesamten Bevölkerung bestehen konnte: „Er wusste, dass eine Gesellschaft nur prosperieren kann, wenn auch die unteren Schichten profitieren.“
Er habe die Nachteile der Arbeitsteilung erkannt und, Adam Ferguson folgend, die Stupidität der Arbeit und die physische wie geistige Verkümmerung der Arbeiter kritisiert, worauf sich später Marx in seiner Kritik an entfremdeter Arbeit stützen konnte.
und weiter, zur unsichtbaren Hand:
Das einzige Zitat Smiths von der „Unsichtbaren Hand“, das von Neoliberalen als Grundprinzip seiner Wirtschaftstheorie aufgefasst und fehlinterpretiert werde, beziehe sich gerade auf Smiths Forderung nach freiem Kapitalverkehr. Die Unsichtbare Hand würde dafür sorgen, dass Unternehmer „nicht ins Ausland abwandern, sondern vor allem die heimische Industrie fördern, obwohl sie nur ihr Eigeninteresse im Blick hätten.“
Insgesamt gilt also: Wenn Du neues Wissen suchst, schlag nach in alten Büchern. Suchst Du „Beweise“ für Deine Thesen, dann führe den Beweis – und missbrauche nicht die Vordenker für Scheinbeweise durch unvollständige Zitate/Fehlinter-pretationen!